„Das Klima zwischen Wissenschaft und Verwaltung lag mir immer sehr am Herzen“, erzählt Dr. Jürgen Leitgebel im Rückblick auf seine Zeit an der Uni Erfurt. Und das kommt nicht von ungefähr, prägten beide Bereiche schließlich sein gesamtes Arbeitsleben. Jürgen Leitgebel ist ein „Mann der ersten Stunde“ an der Universität – vom Studenten und Naturwissenschaftler an der Pädagogischen Hochschule, hin zum Verwaltungsgestalter der neuen Universität Erfurt. Spaß, Entscheidungsfreude und Fairness sind dabei Charakteristika, die den Arbeitsstil des gebürtigen Erfurters auszeichneten und ihn insbesondere bei einer der wohl größten Aufgaben seines Arbeitslebens zugutekamen: der Integration der Pädagogischen Hochschule in die noch junge Universität Erfurt. Mittlerweile ist Jürgen Leitgebel im Ruhestand und erinnert sich für die Reihe „25 Köpfe“ an seine ganz eigene Geschichte mit der Uni Erfurt zurück…
Und die beginnt bereits im Jahr 1972, als Jürgen Leitgebel das Mathe- und Physik-Studium an der Pädagogischen Hochschule Erfurt/Mühlhausen (PH) begann. „Ich habe meine Studentenzeit als sehr schöne Zeit in Erinnerung – nicht zuletzt wegen der vielen netten Menschen, die ich kennenlernen durfte – u.a. meine Frau“, erklärt er lächelnd. „Zu vielen unserer ehemaligen Kommilitonen haben wir heute noch Kontakt.“ Nach dem Abschluss als Diplomlehrer mit Auszeichnung wurde er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Pädagogischen Hochschule, 1983 folgte die Promotion im Bereich der Experimentalphysik. Schon damals mochte Leitgebel den Kontakt zu den Studierenden der Physik – darunter waren u.a. der spätere Thüringer Ministerpräsident Dieter Althaus und auch Leitgebels späterer Kollege an der Uni, Jens Panse.
Ein bitterer Beigeschmack
Mit der politischen Wende begann an der Pädagogischen Hochschule eine Zeit der Ungewissheit. „Niemand wusste zunächst, ob und wie es mit der Hochschule weitergehen wird“, erinnert sich Leitgebel. Erst, als in Thüringen eine neue Regierung gewählt wurde, entschied man, die Grundschullehrerausbildung des gesamten Freistaats an der PH zusammenzuführen. „Ab dem Punkt war klar, dass sich die Pädagogische Hochschule nicht mehr ‚vom Tisch fegen‘ lässt – Unterstufenlehrer braucht man schließlich immer.“ Doch die nächsten Verunsicherungen ließen nicht lange auf sich warten. Als Anfang der 90er-Jahre die Neugründung der Universität Erfurt beschlossen wurde, die die Schließung der Medizinischen Akademie bedeutete, war auch die Verlegung der Naturwissenschaften von der PH nach Ilmenau und Jena beschlossene Sache. „Das war für mich als Naturwissenschaftler natürlich ein harter Schlag. Wir wollten zwar alle die neue Universität, aber das hatte dann schon einen bitteren Beigeschmack.“ Die ebenfalls geplante Schließung der Erziehungswissenschaften – aufgrund der politischen Vorbelastung – konnte dagegen durch eine erfolgreiche Klage aller Mitarbeiter verhindert werden.
„Wenn ich mich auf etwas einlasse, will ich es auch ordentlich machen.“
– Dr. Jürgen Leitgebel
Darüber hinaus folgte für alle PH-Angehörigen eine Stasi-Überprüfung sowie eine persönliche und fachliche Evaluation, die durch verschiedene Kommissionen durchgeführt wurden. „Die Kommissionen entschieden dann, wer eine Perspektive bekommt und wer nicht.“ Auf die Art wurde das PH-Personal stark reduziert. „Zu DDR-Zeiten waren an der Pädagogischen Hochschule 80 Prozent der Mitarbeiter unbefristet beschäftigt, lediglich 20 Prozent befristet. Letztere mussten zum Großteil direkt gehen und von den Unbefristeten wurde wiederum ein Drittel behalten – mehr Stellen gab es nicht“, bedauert Jürgen Leitgebel, der viele Schicksale kurz darauf selbst „auf dem Schreibtisch hatte“. Denn nachdem seine fachliche und politische Überprüfung positiv ausging, bekam er das Angebot, persönlicher Referent des PH-Kanzlers Prof. Dr. Ulrich Pommer zu werden. Ein großer Einschnitt für Jürgen Leitgebel: „Als ursprünglicher Wissenschaftler im Bereich der Physik, musste ich sehr schnell lernen, wie die Verwaltungsarbeit einer Hochschule funktioniert.“ Teilweise bis spät abends studierte Leitgebel damals das Hochschulrahmengesetz, die verschiedenen Hochschultypen und die Personalstruktur an westdeutschen Unis. „Wenn ich mich auf etwas einlasse, will ich es auch ordentlich machen“, erklärt er. „Als ehemaliger Wissenschaftler war mein Grundgedanke immer, die Verwaltung zu vereinfachen, damit die Wissenschaftler gut arbeiten können.“ Und weil im Büro des Rektors alle Fäden zusammenliefen, kannte Leitgebel schnell sämtliche Professoren und Mitarbeiter. Ein großer Vorteil.
Neue Wege
Bald darauf kam der Gründungsbeauftragte der Universität Erfurt, Klaus Dieter Wolff, auf die Pädagogische Hochschule zu, um erste Gespräche zu führen. Zu diesem Zeitpunkt war noch nicht klar, inwieweit sich die PH in der Uni wiederfinden würde. „Obwohl man versuchte, die PH von Anfang an in die Verhandlungen einzubeziehen, wurde schnell deutlich, dass die Universität zunächst ohne die Pädagogische Hochschule starten möchte. Die neue Uni Erfurt sollte eine Reform-Universität werden – da hatte man Bedenken, dass eine bereits existierende Einrichtung alles durcheinanderbringen könnte“, sagt Leitgebel rückblickend. „Ab dem Punkt begannen die Auseinandersetzungen und Diskussionen, die schließlich über Jahre liefen.“
Und es sollte weitere Veränderungen geben: Nach vielen Gesprächen und Verhandlungen wurde Jürgen Leitgebel mitten im Geschehen für ein Jahr an die FH Nordhausen abgeordnet, um dort die Hochschule als Gründungskanzler mit aufzubauen. Eine gute Übung für die neue große Aufgabe, die ihn dann bei seiner Rückkehr nach Erfurt erwartete: Der damalige PH-Rektor Prof. Dr. Schaller ernannte Jürgen Leitgebel 1998 zum Integrationsbeauftragten der Pädagogischen Hochschule. „Zu diesem Zeitpunkt stand bereits fest, dass die PH integriert wird. Die Frage war nur, wann und wie. Klar war, dass die Integration nicht auf einen Schlag erfolgen würde.“ Auf Jürgen Leitgebel kam erneut viel Arbeit zu. Zunächst sollte der Bibliotheksbestand eingearbeitet und Bibliotheksmitarbeiter integriert werden. Darüber hinaus benötigte die Universität ein Rechenzentrum und eine Abteilung, die das Immatrikulationsverfahren durchführte. Eine Personal- und Haushaltsabteilung war bereits vorhanden – u.a. bestehend aus ehemaligen Mitarbeiterinnen der Pädagogischen Hochschule. „Der Gründungsbeauftragte Klaus Dieter Wolff kam seinen Versprechen nach, die PH-Mitarbeiter bei entsprechender Eignung in die neue Verwaltung aufzunehmen.“ Und so war die Integration der Verwaltung der Pädagogischen Hochschule in die Universität Erfurt 1999 abgeschlossen.
Eine Sternstunde
Für den wissenschaftlichen Bereich gab es ebenfalls eine Integrationsvereinbarung: PH-Professuren wurden an die Universität Erfurt übertragen und freie Stellen direkt an der neuen Hochschule ausgeschrieben. „Titel einer solchen Ausschreibung war oft: ‚Professur an der Uni Erfurt; Lehre in den Lehramtsstudiengängen der Pädagogischen Hochschule‘. Und auch, wenn es hier und da noch mal Diskussionen – u.a. wegen der Promotions- und Habilitationsrechte – gab, ließ sich alles irgendwie lösen“, erinnert sich Leitgebel mit überwiegend positiven Gefühlen an die Integrationsphase zurück. „Als sie abgeschlossen und alle PH-Mitarbeiter an der Uni waren, war das natürlich eine Sternstunde – besonders für jemanden, der die ganzen Integrationskonzepte mit erarbeitet hat“, erklärt er.
„Ganz so leicht war dann aber die Anfangszeit an der Universität für viele nicht“, erinnert sich Jürgen Leitgebel. „Die Professoren und wissenschaftlichen Mitarbeiter der PH, fühlten sich anfangs als Wissenschaftler zweiter Klasse und die Arbeit in der Verwaltung war von weiterem Stellenabbau geprägt“, erklärt Jürgen Leitgebel. Die ständigen Entlassungen waren ein jahrelanges Konfliktfeld, das erst 2010 durch die Einführung der Haushaltflexibilität aufgelöst wurde. Eine Regelung, die Jürgen Leitgebel bis heute als einen der schönsten Momente seiner Laufbahn beschreibt. „Endlich durfte die Universität selbst festlegen, was mit den verfügbaren Geldern gemacht wird – unabhängig von Titeln und jährlicher Bindung.“
„Zur Ruhe“ kam Leitgebel nach der Integration der PH in die Uni dennoch nicht, im Gegenteil: Er durchlief sämtliche Bereiche der Verwaltung – vom Leiter des Controllings, über die ständige Vertretung des Kanzlers, die kommissarische Leitung der Abteilung Innere Verwaltung, Bau und Liegenschaften hin zur Leitung der Abteilung Personal. Und schließlich – seine letzte Aufgabe vor dem Ruhestand – die Leitung der Stabsstelle Planung, Controlling, Berichtswesen, die er zum 1. Oktober 2010 übernahm. Was ihm bei der Verwaltungsarbeit am meisten Spaß gemacht hat? „Die Kontakte zu den Menschen und das Gefühl, gemeinsam etwas erreicht zu haben. Mir waren der Zusammenhalt und das Klima zwischen Verwaltung, Rechenzentrum, Bibliothek und natürlich der Wissenschaft immer sehr wichtig. Wenn sich alle verstehen und Verständnis für den anderen haben, lassen sich auch Konflikte besser lösen.“
Und weil ihn eine so lange Geschichte und positive Gefühle mit der Uni verbinden, bleibt er ihr auch im Ruhestand noch treu. „Ich besuche nach wie vor gern die öffentlichen Veranstaltungen der Universität – ob nun Ringvorlesungen, Vorträge oder Ausstellungen. Zudem treffe ich mich hin und wieder auch noch mit ehemaligen Kollegen. Ich war eben einfach immer gern hier.“
Jürgen Leitgebels Wünsche zum 25-jährigen Bestehen der Uni Erfurt:
„Ich wünsche mir für die Uni gute Wissenschaftler, hervorragende Berufungen und engagierte Professorinnen und Professoren, die guten wissenschaftlichen Nachwuchs ausbilden. Gerade in den Anfangsjahren war ein unglaublicher Zusammenhalt zwischen Professoren und Studierenden, ich wünsche mir, dass das in Zukunft natürlich auch so ist. Wenn die Studierenden von ihrer Uni begeistert sind, ist das die beste Werbung für eine Universität.“